Sechs Monate nach seinem Premieren-Sieg auf der Streif wurde dem 24-jährigen Deutschen Thomas Dreßen traditionsgemäß eine Gondel der Hahnenkammbahn gewidmet. Dürfte er es sich aussuchen, soll sie künftig zwischen denen von Hermann Maier und Daron Rahlves hängen.
Einmal in der Karriere die Abfahrt auf der Streif zu gewinnen, ist für einen Skifahrer in etwa gleich bedeutet wie für Tennisspieler ein Triumph in Wimbledon. Nur wird so ein Premieren-Sieg auf dem Hahnenkamm gleich zweimal gefeiert. Das erste Mal am Tag des Rennens (und vor allem in der darauffolgenden Nacht). Das zweite Mal im Sommer danach, wenn dem noch immer Glücklichen eine Gondel der Hahnenkamm-Bahn gewidmet wird.
Für Thomas Dreßen war der Erfolg am 20. Jänner 2018 nicht nur der erste auf der Streif, sondern der allererste im Weltcup überhaupt. Und auch für den DSV war es damals ein historischer Tag. Der 24-jährige aus Mittenwald sorgte für den ersten deutschen Abfahrtssieg in Kitzbühel seit Sepp Ferstl 1979. Die Bedeutung dieses Triumphs wird einem auch noch sechs Monate später vor Augen geführt: Hunderte Skifans und Schaulustige (deutsche Urlauber) kamen am Samstagvormittag zur traditionellen Gondelübergabe an Thomas Dreßen. Der Andrang war zuletzt wohl 2014 beim Salzburger Hannes Reichelt ähnlich groß, allerdings schickten diesmal auch ARD, ZDF und Sky Fernsehteams nach Kitzbühel.
Der Wahl-Österreicher, Dreßen lebt in Oberösterreich, ist kein Mann der großen Show. Ebenso unerwartet wie unauffällig steht er an diesem 14. Juli plötzlich in der wartenden Menge vor der Talstation. Fortan beginnt das große Gedränge, aber Dreßen mag das Bad in der Menge: Geduldig stellt er sich den Foto-Wünschen und schreibt Autogramme. Etwas abseits des Treibens beobachtet der „Inhaber“ von Gondel Nummer 40 das Remmidemmi um den jungen Athleten: Olympiasieger Ernst Hinterseer. Der Kitzbüheler ist 86 Jahre alt und zeigt sich bester Gesundheit sowie fröhlichen Gemüts. Aber auch ein jüngerer „Gondoliere“ war gekommen, um Dreßen zu applaudieren: der 46-jährige Marco Büchel. Seit der Liechtensteiner 2008 den Super-G gewonnen hat, trägt Gondel Nummer 82 seinen Namen.
Zur offiziellen Verleihung geht es mit der Hahnenkammbahn nach oben und nur hier führt an diesem Tag der Zufall Regie: Für die Bergfahrt erwischt Thomas Dreßen die Gondel von Olympiasieger Patrick Ortlieb. Der Vorarlberger bezwang die Streif 1994. Die Sechserkabine des Deutschen hängt unterdessen noch blumenverziert in der Bergstation: „Jetzt weiß man, dass man hier in Kitzbühel gewonnen hat“, sagt Dreßen bei der Übergabe durch Kitzbüheler Skiclub-Präsident Michael Huber und Josef Burger, Vorstand der Bergbahn Kitzbühel AG. Als etwas handlichere Erinnerung an den Tag bekommt der Speed-Spezialist eine Miniatur-Ausgabe seiner Gondel für die Westentasche.
Zwischen welchen Streif-Siegern seine Kabine denn hängen sollte, wird Thomas Dreßen beim anschließenden Interview-Reigen neben dem Starthaus gefragt: „Zwischen denen von Hermann Maier und Daron Rahlves“, antwortet er ohne lange zu überlegen. Sein nächstes Ziel ist es, die hervorragende vergangene Saison zu bestätigen. Am liebsten natürlich mit einer Titelverteidigung in Kitzbühel. Selbst wenn es dafür keine zweite Gondel geben würde.