Der Skitourismusforscher Günther Aigner spricht im Interview über die Skination Österreich und weshalb dieser Titel auch trotz des Nachwuchs-Mangels nicht wackelt. Außerdem erklärt der Tiroler, warum sich der Klimawandel in den Alpen bislang hauptsächlich im Sommer und nicht im Winter zeigt.
Nur Weltcup-Fahrer war er nie, aber sonst kennt Günther Aigner den Skisport in all seinen Facetten. Geboren 1977 in Kitzbühel steht er seit Kindesbeinen auf Skiern und widmete sich der Faszination Piste und Pulver nicht nur sportlich, sondern auch wissenschaftlich: In Innsbruck und New Orleans studierte er Sportwissenschaft und Wirtschaftspädagogik, seine Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 trägt den Titel „Zur Zukunft des alpinen Skisports. Einflussfaktoren und ihre Auswirkungen“. Von 2008 bis 2014 leitete Aigner für Kitzbühel Tourismus das Wintermarketing. Seit August 2014 ist er hauptberuflich als Skitourismusforscher tätig und seine Lehraufträge sowie Gastlektorate führten ihn u.a. nach China, Vietnam, Aserbaidschan, Serbien sowie hierzulande nach Innsbruck, Salzburg, Kufstein, Der Tiroler ist außerdem Verfasser zahlreicher Schnee- und Temperaturstudien darunter für seinen Heimatort Kitzbühel, Lech-Zürs, Zell am See.
Im ersten Teil des Gesprächs mit Skiing Penguin geht es um den fehlenden Nachwuchs im Skisport, die kälter gewordenen Winter, das Befinden der Gletscher sowie – eher unerwartet – um den FC Bayern.
Ist Österreich eine Skination?
„Wenn es eine Skination gibt, dann muss es Österrich sein“, stellt Aigner außer Zweifel und belegt das auch mit Zahlen aus dem „International Report on Snow- & Mountaintourism“ von Laurent Vanat, einem weltweit anerkannten Standardwerk. Demzufolge gibt es in Österreich drei Millionen Skifahrer, was einer Partizipationsrate von 33 Prozent entspricht. Einzig in Liechtenstein und der Schweiz ist dieser Anteil noch etwas höher. Auf Platz vier und mit Respektabstand folgt Norwegen mit 25 Prozent. Was laut Aigner noch für die Skination Österreich spricht: „Österreich gilt als wichtiges Geburtsland des alpinen Skisports in den 1890er-Jahren. Wir haben eine erfolgreiche Geschichte im Spitzen- sowie Breitensport, in der Skiindustrie – u. a. Seilbahn-Weltmarktführer Doppelmayr – und in der Skipädagogik.“ Was die Statistik von Laurent Vanat aber ebenso deutlich belegt: Auch in der Skination fährt nicht jeder Ski – im Gegenteil. 5,7 Millionen Österreich leben ohne Pistenspaß. „Das war früher so und das wird auch in Zukunft so sein“, weiß Aigner. „Aber es ändert nichts an dem Faktum, dass Skifahren ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Kultur ist – aber natürlich nicht der wichtigste.“
Fehlt dem Skisport nicht der Nachwuchs?
Dem stimmt Günther Aigner zu. Der Grund ist aber in erster Linie nicht in der fehlenden Begeisterung des Nachwuchses zu finden: „Die Jungen fehlen, weil sich die Demografie dahin entwickelt. Die Bevölkerungspyramide hat sich auf den Kopf gestellt, das heißt viele Alte, wenig Junge und das spiegelt sich auf der Skipiste wider.“ Älter geworden sind die Skifahrer auf Österreichs Pisten dadurch aber bislang nicht: Das Durchschnittsalter betrug im Jahr 2008 38,9 Jahre und im Jahr 2017 39 Jahre – laut Statistik der Wirtschaftskammer. Allerdings richtet sich die jährliche Befragung an Einheimische wie Touristen und darüber hinaus nur an Skifahrer, die älter als 14 Jahre sind: „Die Partizipationsrate ist meiner Meinung nach eher sinkend“, glaubt Aigner und präzisiert warum: „Die Anzahl der Österreicher, die zumindest gelegentlich Ski fahren, ist mit etwa drei Millionen schon seit langem stabil, aber die Zahl der Österreicher wächst stark. Also kann ich mir gut vorstellen, dass wir in zehn Jahren auch drei Millionen Skifahrer haben, aber sicher auch zehn Millionen Einwohner.“ Fakt ist auch, dass Österreicher immer älter werden ergo auch immer länger fit und gesund sind. Damit ist der Skisport auch im höheren Alter noch immer reizvoll.
Sind die Winter in den letzten Jahren kälter geworden?
„Seit den 1990er-Jahren haben sich die Winter abgekühlt“, sagt Aigner. So datiere der mildeste Winter auf der Schmittenhöhe in Zell am See mit nur -0,7 Grad im Schnitt schon aus dem Jahr 1989/1990.
In der öffentlichen Meinung hat es den Anschein, als werde es immer wärmer und man könne bald nicht mehr Ski fahren.
Das habe laut Günther Aigner mit dem globalen Klimawandel zu tun, der vor allem in den Alpen weiter voranschreite: „Aber den Klimawandel macht man anhand der Jahresdurchschnittstemperaturen fest und die sind in den Alpen in den letzten 40 Jahren rascher gestiegen als im globalen Mittel.“ Der Umkehrschluss, dass dadurch das Skifahren unter Druck gerät bzw. gefährdet wäre, sei aber „falsch“. Warum? Aigner erklärt: „Für das Skifahren ist hauptsächlich die klimatologische Entwicklung im Winter wichtig und diese hat sich von der klimatologischen Entwicklung im Sommer in den letzten 40 Jahren komplett entkoppelt.“ Das bedeutet, die Sommer in Österreich wurden in den letzten Jahrzehnten wärmer, die Winter hingegen kälter. Aigner geht noch einen Schritt weiter: „Die Sommer sind in den letzten Jahren – salopp gesagt – explodiert. Die Jahresmittel auf den Bergen sind in den letzten 40 Jahren um ca. 2,5 Grad angestiegen. Z.B. am Sonnblick, auf der Schmittenhöhe oder auch in Graz am Schöckl. Im Winter ist das eben nicht passiert. Die Klimaerwärmung in den Alpen ist dramatisch, aber hauptsächlich im Sommer und nicht im Winter. Deshalb können wir im Winter noch gut Ski fahren.“ Kalte Winter nützen Österreichs abschmelzenden Gletschern übrigens gar nicht: „Gletscher reagieren hauptsächlich auf die sommerliche Witterung“, sagt Aigner und die ist in den letzten Jahrzehnten eher gletscherfeindlich.
Ist die aktuelle Klimalage in Österreich stabil?
„Überhaupt nicht“, sagt Günther Aigner überzeugt. Es könne „schon nächstes Jahr mit den recht kalten und schneereichen Wintern vorbei sein. Oder auch nicht“, meint der Skitourismusforscher. „Das Klima ist ein thermodynamisches und chaotisches System und so etwas kann man nicht vorhersagen. Ein chaotisches System ist z. B. auch die Deutsche Fußball-Bundesliga. Wir wissen nicht wer 2024 Meister wird. Das ist unmöglich zu prophezeien.“
Wahrscheinlich wird es der FC Bayern München.
Diese Wahrscheinlichkeit möchte Günther Aigner gar nicht bestreiten, allerdings ergänzen: „Analog dazu ist die Wahrscheinlichkeit nicht so klein, dass durch das vermehrte Freisetzen von CO2 die Winter in den nächsten Jahrzehnten etwas milder sein werden als heute. Aber mediale Horrorszenarien mit vielen Grad Celsius Temperaturanstieg sind aus jetziger Sicht ziemlich unrealistisch. Dadurch, dass unser Klima ein chaotisches System ist, können wir von den Mustern der Vergangenheit nicht auf die Zukunft schließen.“