Marcel Hirscher bleibt dem Skiweltcup erhalten. Seine Prioritäten haben sich in den letzten Wochen zwar nicht verschoben, aber es sind mehr geworden. Derzeit sucht der Salzburger einen Mittelweg zwischen Familie und Spitzensport. Um die Karriere so plötzlich zu beenden, fehlt ihm einerseits Courage, andererseits liebt der 29-Jährige das Skifahren viel zu sehr.
Ein Ausnahmeathlet wie Marcel Hirscher hat viele einzigartige Momente erlebt, aber das Jahr 2018 wird für den Salzburger immer ein ganz besonderes bleiben. Nicht nur, weil er zum siebten Mal den Gesamtweltcup gewonnen hat und Doppel-Olympiasieger wurde, sondern weil er seine Langzeitfreundin Laura im Mai geheiratet hat und im Herbst zum ersten Mal Vater wird. Beim traditionellen Sommer-Medientermin erwarteten nicht wenige der rund 90 Journalisten (aus zehn Ländern) den Rücktritt des 29-Jährigen. Doch Hirscher hängt noch eine Saison dran, obwohl er sich der Gefahr bewusst ist, so den richtigen Moment für einen Abtritt verpassen zu können. Sein Privatleben wird er auch in Zukunft „äußerst privat“ halten und zur Hochzeit auf Ibiza sagt er nur so viel: „Es war ein wunderbarer Tag.“ Die Eheschließung war übrigens von langer Hand geplant: „Laura rennt zwei Jahre mit einem Verlobungsring herum und ihr checkt es nicht“, freut er sich gegenüber den Journalisten schmunzelnd. Auch wenn Hirscher nun auch Ehemann und bald auch Papa sein wird, sportlich plant er keine halben Sachen: „Den Anspruch zu den Besten zu gehören, habe ich auch weiterhin.“ Das folgende Interview entstand im Rahmen eines Tischgesprächs im Salzburger „Schloss Fuschl“ mit rund 30 deutschsprachigen Journalisten.
Wie haben Sie die Zeit seit dem Saisonfinale genützt und wie geht es in den nächsten Monaten weiter?
MARCEL HIRSCHER: Ich habe nachbereitet, nachgedacht, vorbereitet und das war es eigentlich kurz zusammengefasst. Aber natürlich ist auch viel Schönes passiert und es war bisher ein wahnsinnig tolles Jahr. Auch die nächste Saison werde ich ein Bestandteil des Weltcups sein, in welcher Form auch immer. Aber ich bin motiviert Rennen zu fahren und körperlich geht es mir super. Mental hab ich mich gut erholt – der Abstand hat gut getan. Die Liebe zum Skifahren ist nach wie vor wahnsinnig groß und ich bin noch nicht bereit, aufzuhören.
Hat es Momente gegeben, in denen Sie gedacht haben aufzuhören?
MARCEL HIRSCHER: Mit Sicherheit. Aber das zieht sich schon über Jahre hinweg.
Wie ist die Erkenntnis gekommen, doch wieder weiterzumachen?
MARCEL HIRSCHER: Eigentlich steckt im Endeffekt eine Sucht dahinter. Der Wettkampf ist das, was den Rest am Leben erhält.
Bis wann hat sich Ihr Körper erholt gehabt, dass sie gespürt haben, es freut mich auch weiterhin?
MARCEL HIRSCHER: Man kann es sich nicht so vorstellen, dass sich da von heute auf morgen ein Schalter umlegt. Im Endeffekt hab ich im Training gemerkt, dass mein Körper und mein Kopf wieder bereit waren, an die Grenzen und darüber hinaus zu gehen. Denn du spürst sehr schnell, wenn dein Körper und dein Kopf nicht bereit sind, dich richtig zu schinden. Dein Körper ist ja nicht deppert: Wenn er es nicht zulässt, lässt er es nicht zu.
Hat sich Ihre Prioritätensetzung in den letzten Wochen eigentlich verändert?
MARCEL HIRSCHER: Privat hat sich bei mir so viel Positives getan, dass es inzwischen mehrere Prioritäten gibt. In der kommenden Saison werde ich mehr abwägen: Inwieweit bin ich bereit, inwieweit möchte ich das. Fliege ich 2019 etwa drei Wochen zur Weltmeisterschaft nach Åre oder nur zwei Wochen oder vielleicht auch nur zwei Tage. Die Zeit in der ich mein komplettes Leben dem Profisport untergeordnet hab, ist vorbei. Ich habe in Zukunft mehr Aufgaben, als nur Skirennsportler und eine öffentliche Person zu sein. Bald bin ich auch Familienvater und das möchte ich sehr ernst nehmen, weil ich mich sehr darauf freue.
Das heißt, Sie werden in Ihrer Karriere keine Abfahrt gewinnen?
MARCEL HIRSCHER: Nein, ich bin nicht mehr dazu bereit, mich in den nächsten fünf Jahren so einem großen Projekt zu widmen. Die ersten zwei Jahre die Strecken kennen zu lernen, im dritten dann einmal versuchen Gas zu geben und im vierten oder fünften Jahr zu merken, dass man damit wohl etwas zu spät angefangen hat.
Was treibt einen an, der schon alles gewonnen hat?
MARCEL HIRSCHER: Es ist die Freude Skirennen fahren zu können. Normales Skifahren ist auch wunderbar, aber es ist keine Herausforderung. Die Herausforderung Wettkämpfe zu bestreiten, ist wunderschön.
Stehen Sie zu Saisonbeginn in Sölden am Start?
MARCEL HIRSCHER: Das ist nicht gewiss. Ist die Schneelage gut, funktioniert das Training weiter gut, macht es mir Spaß und spüre ich eine Leichtigkeit beim Skifahren, dann voll gern. Aber, wie schon angesprochen, es gibt auch andere Parameter, die mir wichtig sind und die müssen auch alle passen.
Was erwarten Sie von Henrik Kristoffersen in der nächsten Saison?
MARCEL HIRSCHER: Dass dem Henrik die Zukunft gehört, braucht man nicht extra zu erwähnen. Die Frage ist vielmehr: Kann ich von Beginn an mit ihm mithalten?
Nach allem, was in den letzten Wochen passiert ist, wie hat Sie das verändert?
MARCEL HIRSCHER: Ich möchte künftig versuchen, einen Mittelweg zu finden. Das heißt: Mehr Lebensqualität, indem ich mir mehr vom Sommer gönne, und mehr Zeit für meine Familie und mich. Trotzdem möchte ich den Profisport aber nicht ganz aufgeben. Ganz aufzuhören, wäre so ein drastischer Schritt. Lassen wir es vielleicht langsam ausklingen. Auch wenn ich immer betont hab, dass ich genau so etwas nicht will. Aber es sieht so aus, als ob das der einzige Weg wäre.
Fürchten Sie nicht so den richtigen Zeitpunkt für das Karriereende zu verpassen?
MARCEL HIRSCHER: Diese Gefahr ist riesengroß. Aber das Risiko gehe ich bewusst ein. Trotzdem hab ich nicht die Courage und die Schneid zu sagen: So, das war es jetzt! Aus, wiederschaun! Ich steh einfach zu gerne auf die Brettln.