An den Ort des größten Rennens seiner Karriere kehrt Stephan Eberharter immer wieder gerne zurück. Diesmal wanderte der 50-Jährige mit Fans „seine“ Streif von unten nach oben. Und auch eine zweite Sportlegende machte sich auf den Weg auf den Hahnenkamm.
Kitzbühel und Stephan Eberharter hat etwas von einer Liebesbeziehung. Gefühlt hatte es in der Gamsstadt den ganzen Mai über geregnet. Aber wenn der dreimalige Streif-Sieger anreist, um gemeinsam mit Fans und Naturliebhabern am 1. Juni die Wandersaison zu eröffnen, strahlt die Sonne. Und natürlich auch etwa 150 Gesichter, die sich am Samstagmorgen an der Talstation der Hahnenkammbahn einfinden und Österreichs einstigem Ski-Helden harren. Als Stephan Eberharter pünktlich eintrudelt, dauert es auch keine 60 Sekunden, ehe der erste Fotowunsch ausgesprochen wird.
Der 50-jährige Zillertaler und seine Gefolgschaft eröffnen die Sommersaison freilich nicht auf einer x-beliebigen Strecke der 1000 Wanderkilometer in Kitzbühel. Es geht die Streif 800 Höhenmeter bergauf – vorbei an sämtlichen Schlüsselstellen der legendärsten Abfahrt im Weltcup. Hier auf dem 1600 Meter hohen Hahnenkamm feierte er 2004 seinen zweiten Abfahrtssieg, mit einer Fahrt, die bis heute unbestritten als perfekt gilt. Die Perfektion galt damals neben der Linienführung auch der Geschwindigkeit und langsam geht es Stephan Eberharter auf der Streif selbst dann nicht an, wenn er sie in die „falsche“ Richtung bezwingen möchte. Der Zielschuss wird flugs gequert und auch am Ganslernhang hält man nicht inne. Erst oberhalb der Hausbergkante gibt es die erste kurze Pause und der Speed-Spezialist plaudert zum ersten Mal aus dem Nähkästchen.
„Oft werd ich gefragt, um wieviel langsamer ich die Abfahrt heute fahren würde und ich antworte immer: Der Vergleich hinkt“, erzählt Stephan Eberharter. „Warum? Weil ich diese Abfahrt nicht mehr fahren würde“, sagt er und die Menge spürt sofort, dass da jemand aus tiefster Überzeugung spricht. Der Olympiasieger und zweimalige Weltcupgesamtsieger ist heilfroh, ohne jegliche Folgeschäden und von schweren Verletzungen verschont aus seiner Karriere herausgekommen zu sein. „Da unten sind viele Karrieren zu Ende gegangen“, deutet er auf jene Stelle, wo für gewöhnlich drei Zäune stehen, die jene Athleten auffangen, die ihre Ideallinie verlassen haben. „Aber Hans Knauß fährt noch immer“, stellt eine Frau fest und impliziert damit, dass der ORF-Experte beinah gleich alt wie Eberharter sei. „Das stimmt“, antwortet „der Steff“, klärt aber auf: „Der Hans trainiert intensiv, um jede Abfahrt mit der Kamera zu bestreiten. Aber er fährt natürlich nicht auf Speed. Wozu auch? Er muss ja eine Kamera halten.“
Weiter geht es über den Lärchenschuss und durch ein kühlendes Wäldchen hin zur Seidlalm. Hier erinnert Stephan Eberharter daran, dass er eigentlich nie der große Abfahrer werden wollte und eigentlich Techniker war. „Ich habe nie gesagt: ,Juhu, jetzt geht es nach Kitzbühel auf die Streif!‘ Unglaublich, dass ich grad hier meine größten Erfolge gefeiert hab.“ Die Frage nach dem Warum lässt nicht lange auf sich warten: „Ich konnte immer auf den Punkt meine beste Leistung abrufen. Auch hab ich grad hier in Kitzbühel am Start nie herumgeblödelt. Lieber bin ich das Rennen zehnmal im Kopf durchgegangen.“
Jeder, der wollte bzw. der mit Stephan Eberharter auf selber Höhe wanderte, konnte mit ihm plaudern. Aber nicht nur übers Skifahren. Mit Josef Burger etwa, dem Vorstand der Bergbahn AG Kitzbühel, sprach er über den Handelskrieg zwischen den USA und China und die laxe Besteuerung von amerikanischen Großkonzernen außerhalb der USA. Zur Überraschung aller (die ihn kennen), wanderte auch ein zweiter Sport-Hero mit Stephan Eberharter die Streif hinauf: Fußball-Trainer Peter Stöger folgte mit seiner Lebensgefährtin Ulrike Kriegler der Verlockung Hahnenkamm. Den Wiener zog das letzte Heimspiel des FC Kitzbühel ins Tiroler Unterland, wo er wenige Stunden nach der Wanderung dem scheidenden Coach Alex Markl seine Aufwartung machte.
Und wie steht es um Stephan Eberharters Interesse am Fußball? „Das war nie sehr groß. Obwohl ich bis zum 10. Lebensjahr bei Stumm gespielt habe. Dann hab ich mich aber fürs Skifahren entschieden und bin in die Schule nach Stams.“ Der Kreis schließt sich, denn inzwischen ist er auf dem Fußballplatz von seiner Heimat Stumm im Zillertal wieder häufiger anzutreffen: „Jetzt schau ich meinem Buben zu.“ Auf die Frage, ob sich sein Sohn schon zwischen Fußball und Skifahren entschieden hat, sagt Stephan Eberharter: „Kann sich ein Neunjähriger entscheiden?“ Auf alle Fälle möchte ihn der Papa in keine Richtung drängen und auch nicht unfroh sein, schlägt der Bub keine Karriere als Profisportler ein.
Inzwischen rufen die ersten Wanderer ihre allerletzten Reserven ab. Es geht in den Steilhang und der ist – wie könnte es anders sein – nicht nur steil, sondern wartet mit einem Untergrund aus Gatsch und Schnee auf. Alle sind froh, als zumindest die Mausefalle gemütlich umwandert wird. Apropos Mausefalle: Beim Rennen heben die Athleten an ihrer Kante zu einem spektakulären Sprung ab, heute ist hier Selfie-Time. „Unglaublich eigentlich“, resümiert Stephan Eberharter, „auf dieses Rennen hier spricht mich jeder an“, und meint seinen Triumph aus dem Jahr 2004. Und trotz so vieler anderer Siege, WM-Titel sowie der Goldmedaille, der Zillertaler wirkt vollkommen zufrieden, dass dieses eine Weltcuprennen am 24. Jänner alles zu überstrahlen scheint. Kitzbühel und Stephan Eberharter, das ist so etwas wie eine Liebesbeziehung.