Simon Breitfuss Kammerlander ist einer der letzten Allrounder im Weltcup. Nach allen drei Rennen in Kitzbühel warten auf den Pitztaler nun Schladming, Garmisch-Partenkirchen und die Weltmeisterschaft in Åre. Übrigens: Der 26-Jährige fährt nicht für Österreich, sondern für Bolivien.
Oft heißt es, dass es nicht unbedingt schadet, ein wenig verrückt zu sein, um die Streif mit bis zu 150 km/h nach unten zu brettern. Simon Breitfuss Kammerlander ist noch einen Schritt weiter gegangen. Er fährt die Streif ebenso wie die Lauberhorn-Abfahrt, den Riesentorlauf von Adelboden, das Nightrace in Schladming und zur Weltmeisterschaft nach Åre. Allerdings nicht für Österreich und den ÖSV. Der 26-jährige gebürtige Tiroler tritt seit 2016 für Bolivien an. Für ein Land, das zwar bis zu 6500 Meter hohe Berge hat, aber aufgrund des Abschmelzens der Gletscher kein Skigebiet mehr.
Sein Weltcup-Debüt feierte Simon Breitfuss Kammerlander am 23. Okotober 2016 in Sölden – nach einer sechs Jahre dauernden Ochsentour in Sachen Staatsbürgerschaft und FIS-Lizenz. Den Hang zu Südamerika verdankt der Sportstudent seinem Papa und Trainer Rainer Breitfuss. Der Vorarlberger trainierte einst nicht nur Argentiniens Nachwuchs, sondern fuhr auch als Profi in Rennserien Südamerikas und Japans. Simon Breitfuss Kammerlanders Hauptwohnsitz ist La Paz, seine Wohnung – in der er zumindest vier Monate im Jahr lebt – liegt auf 4100 Meter Seehöhe in El Alto. Den Doppelnamen (die Familiennamen von Papa und Mama) trägt er übrigens, weil das in Bolivien so üblich sei. Im Rahmen der Hahnenkammrennen in Kitzbühel nahm sich Simon Breitfuss Kammerlander Zeit für ein Interview, ehe es für ihn weiter nach Schladming zum Slalom ging.
Herr Breitfuss Kammerlander, Sie sind in Kitzbühel in allen drei Disziplinen angetreten, ins Ziel gekommen sind Sie in der Abfahrt. Mit elf Sekunden Rückstand auf Streif-Sieger Dominik Paris. Wie zufrieden sind Sie?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Ich bin nicht zufrieden, mein Rückstand auf Dominik Paris war einfach zu groß. Meine Fahrt war in einzelnen Passagen gut, in den steilen Abschnitten hab ich mich richtig reing’haut. In den Flachstücken sind einfach die Bretter nicht g’rennt.
Ist der Servicemann schuld?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Der Papa ist schuld (lacht schallend auf). Nein, Spaß beiseite. Wir haben das beste gemacht, was möglich war. Aber beim Ski haben wir uns in Sachen Struktur vertan. Da bist du dann machtlos und kannst das beste Wachs drauftun, wenn es nicht rennt, rennts nicht.
Als Sie mit Startnummer 55 ins Ziel gekommen sind, waren ja noch immer einige Tausend Fans da. Wie war das Gefühl und bekommt man die Stimmung während der Fahrt überhaupt mit?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Es ist ein wunderschönes Gefühl und die Stimmung kriegst du schon auf der ganzen Strecke mit. Ich weiß gar nicht wo da überall Leute stehen und wie sie da hinkommen. Aber man hört sie überall und es ist beeindruckend bis zum Schluss.
Sie fahren als einer der ganz wenigen Athleten – in Kitzbühel etwa als einziger – alle Disziplinen. Welche ist Ihre stärkste?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Laut den Ergebnissen Slalom und Riesenslalom. Super-G läuft auch gut, nur in der Abfahrt fehlen noch ein paar Ergebnisse. Spaß macht mir alles. Slalom ist vielleicht mein kleiner Favorit. Da weiß ich am besten, wie es funktioniert und mein Material und die Abstimmung passen auch.
Ein kurzes Video vom Abschlusstraining in Kitzbühel:
Wann sind Sie den Top 30 im Slalom am nächsten gekommen?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang 2018 – da war ich 32. nach dem ersten Durchgang. Aber bei den Spielen dürfen alle Qualifizierten im zweiten Durchgang starten und ich hab genau an der Stelle einen Steher gehabt, wo Marcel Hirscher ausgeschieden ist. Da war der Frust schon sehr groß.
Warum eigentlich gerade Bolivien?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Im Alter von acht Jahren war ich zum ersten Mal mit meinem Papa in Südamerika – hauptsächlich in Argentinien und Chile. Aber nie in Bolivien, wo er früher auch trainiert hat. Aber mich hat das Land immer fasziniert, vor allem die Stadt La Paz – der höchstgelegene Regierungssitz der Welt. Als ich später die Möglichkeit bekommen habe, in Bolivien Sport zu studieren, hab ich schon wenige Wochen später zufällig jemanden von Boliviens Skiverband getroffen.
Den hat es also schon vor Ihnen gegeben?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Bolivien hatte den ersten Skiverband Südamerikas.
Wie schnell seid ihr euch einig geworden?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Einen Tag später haben wir uns schon zusammengesetzt und überlegt, ob das überhaupt sinnvoll ist. Wir waren aber schnell einverstanden und erst danach ist es richtig schwierig geworden, unsere Idee zu realisieren. Zuerst die Staatsbürgerschaft, danach die Lizenz von der FIS. Das hat uns insgesamt sechs Jahre gekostet.
War es das wert?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Auf jeden Fall.
Es im Österreichischen Skiverband zu versuchen war nie ein Thema?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Nein, denn als ich als Student nach Bolivien gegangen bin, war das Skifahren für mich schon relativ vorbei. Als Teenager bin ich schon Rennen auf Bezirks-, Landesebene und darüber hinaus gefahren. Die ersten FIS-Rennen mit 15, 16 auch für Österreich.
Und plötzlich ist in Bolivien wieder Ihr Rennfieber geweckt worden?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Unser Motto lautet: “Wenn man etwas macht, dann richtig oder gar nicht.” Sicher hat es zwischendurch Zweifel gegeben und man hat sich gefragt: “Was mach ich hier eigentlich?” Aber am nächsten Tag ist es schon wieder positiv weitergegangen.
Wie trainiert es sich im Team Breitfuss Kammerlander?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Es wird improvisiert und vor allem in Bolivien ist es schwierig.
Warum?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Es gibt keinen Lift mehr, denn das einzige Skigebiet Boliviens auf dem Chacaltaya hat geschlossen. Der Gletscher auf 5395 Meter ist weggeschmolzen – da ist nichts mehr.
Wie trainiert ihr dann zuhause?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Wir haben versucht zu Fuß auf die höheren Gipfel Boliviens zu kommen. Von 5500 bis über 6000 Meter liegt ja Schnee. Das war es aber nicht wert. Dort oben in dieser Höhenluft etwa Slalom zu trainieren war brutal. Ein Ski-Doo funktioniert in der Höhe auch nicht, denn es gibt zu wenig Luft.
Wo ist das nächste Skigebiet?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Die nächsten befinden sich in Chile oder Argentinien. Vor zwei Jahren sind wir dorthin zum Südamerikanischen-Cup gefahren – in einem Lada Taiga. Bis Argentinien zum ersten Rennen waren es 4000 Kilometer. Dann ging es zu den nächsten Rennen weiter in den Süden und anschließend nach Chile und zurück nach Hause. Binnen drei Wochen sind wir 15.000 Kilometer gefahren. Das war schon grenzwertig, besser wäre es gewesen zu fliegen, aber das ist einfach zu teuer.
Wie finanziert ihr das alles?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Durch unsere treuen Sponsoren. Aber wir müssen auch noch viel aus der eigenen Tasche zuschießen. Das ist eigentlich die größte Schwierigkeit. Fast schwieriger, als die Streif zu bewältigen.
Was kostet eine Saison?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Um die 100.000 Euro.
Warum tut man sich diesen schwierigen Weg an?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Warum nicht? Und ich bin ja selbst schuld – ich habe mir diesen Weg ausgesucht. Aber unsere Richtung stimmt zu 100 Prozent und da heißt es jetzt nur noch weiterarbeiten und dranbleiben.
Aber Sie sind schon 26 Jahre alt.
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Deshalb möchte ich auch bald bei den Top 30 anklopfen.
Das nächste große Ziel ist die Ski-WM in Åre.
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Genau, dafür bin ich qualifiziert und ich werde in allen fünf Disziplinen antreten.
Die größten Chancen auf ein gutes Ergebnis in Åre gibt es wohl in der Kombination, oder?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Ja. Oder im Slalom. Im Slalom von Wengen etwa war ich total auf Top-30-Kurs bis ich unten ausgeschieden bin. Solche Abschnitte hat es zuletzt öfter gegeben und da fehlt nur noch wenig, dass einmal ein ganzer Lauf von oben bis unten passt.
Nimmt man Hannes Reichelt zum Vorbild, dann dauert Ihre Karriere noch etwa zehn Jahre. Was trauen Sie sich langfristig zu?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Ganz realistisch die Plätze 1, 2 und 3. Ich will aufs Podium und das trau ich mir auch zu.
Es gibt bei den Herren unter den Spitzenathleten niemanden, der alle Bewerbe fährt. Aber gerade der Mann aus Bolivien versucht es. Wäre es nicht schlauer, sich auf Speed oder Technik zu fokussieren?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Vielleicht braucht es aber gerade das. Denn würde ich Disziplinen auslassen, würde ich in der Zeit natürlich trainieren. Ich mach das ganze Jahr nichts anderes als Ski zu fahren. Dann ist es völlig egal, ob ich am Tag vor dem Slalom eine Abfahrt fahre. Sicher ist es brutal, aber noch schwieriger ist es, alles andere unter einen Hut zu bringen. Während andere regenerieren, kümmern sich Papa und ich ums Material, danach widme ich mich aber noch Organisatorischem und diversen Anfragen via E-Mail und Telefon. Ab und zu hab ich ein bissl wenig Zeit zum Ausrasten.
Wie ist es eigentlich, wenn der Papa auch Trainer ist?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Das ist total locker. Warum das so harmonisch funktioniert, kann ich mir nicht erklären. Vielleicht weil uns die Zeit für Reibereien eigentlich fehlt.
Fahren Sie diese Saison auch im Europacup?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Nein, Europacup ist nicht geplant. Ich fahre weiter im Weltcup und dann zur WM nach Schweden. Nach der WM geht es vielleicht zur Weltcup-Kombi nach Bansko in Bulgarien. Allerdings wissen wir noch nicht, ob es sich ausgeht. Denn von Bansko müssten wir wieder zurück nach Kvitfjell in Norwegen – und das ist extrem. Andere können fliegen, aber das geht sich bei uns mit dem ganzen Material sowieso nicht aus. Wir fahren mit dem Auto.
Weil das Übergepäck Eure Flugreisen so teuer machen würde?
SIMON BREITFUSS KAMMERLANDER: Genau, da wird jedes halbe Kilo verrechnet. Selbst wenn ich nur das Minimum mit in den Flieger nehme, ist es schon dreimal zuviel.