Wo im Winter Mayer, Reichelt, Hirscher Kristoffersen und Co. ihre Spuren bei den Hahenkammrennen hinterlassen, floriert ab dem Frühjahr die Landwirtschaft – da werden Streif und Ganslernhang zu Kuhweiden. Josef Wurzenrainers 82 Kühe grasen im Bereich Mausefalle, Steilhang sowie auf der Asten. Wintersportler schaden der Natur kaum, Querfeldein-Wanderer und rücksichtslose Biker viel mehr, sagt der Landwirt.
Hahnenkamm, Mausefalle, Seidlalm, Hausbergkante, Zielsprung. Wohl ausnahmslos jeder, der Skirennen schätzt, kennt die Kitzbüheler Streif. Die Abfahrtsstrecke ist weltbekannt – zumindest in jenen Ländern, in denen der Skisport eine Rolle spielt. Dabei kennen die meisten diesen prestigeträchtigen Hang nur in seinem Winterkleid und haben keine Vorstellung davon, was sich ab dem Frühling auf ihm so abspielt. Da geht es nämlich tierisch zu auf der Streif, denn sobald der letzte Schnee geschmolzen ist und es die Temperaturen erlauben, beginnt auf einigen Passagen das große Fressen.
Im Frühjahr wird der Zielhang ebenso wie der Ganslernhang zur Kuh-Weide, dort wo sich das Ziel der Abfahrt befindet ist ein Golfplatz, im Ziel des Slalomhangs ein kleiner Acker. Nichts deutet darauf hin, dass im Winter Hunderttausende die Hänge auf Ski passieren und an einem einzigen Wochenende im Jänner bis zu 90.000 Zuseher eine rauschende Party feiern. Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich oben auf dem Hahnenkamm. 44 der 82 Tiere von Josef Wurzenrainer laben sich an den Gräsern im Bereich Mausefalle und Steilhang. Allerdings zumeist nur abends und nachts. Tagsüber ziehen seine Kühe an heißen Sommertagen den dunklen und kühlen Stall vor. „Vor allem bei hohen Temperaturen ist der Stall wichtig, denn es sind tagsüber sehr viele Bremsen unterwegs. Die Kühe genießen so heiße Tage lieber im Stall, denn dort wo es dunkel ist, fliegen die Insekten nicht hinein“, sagt der Landwirt.
Alle Kuh-Fetischisten, die nun befürchten, die Wiederkäuer gäbe es auf der Streif nur nachts zu sehen, seien beruhigt. Sowohl im Zielbereich als auch auf dem Gipfel des Hahnenkamms grasen genügend Herden fast rund um die Uhr. Josef Wurzenrainer bewirtschaftet die „Untere Ehrenbachalm“ mit 60 Hektar seit mittlerweile zwölf Jahren. 44 Jungtiere verbringen den Sommer im Bereich Walde, Mausefalle und Steilhang, 36 Kühe im Bereich der Asten – eine weniger stark befahrene Ski-Abfahrt.
Der in Kitzbühel über 200 Tage währende Winterbetrieb kann den Weiden nichts anhaben: „Der Winter tut der Alm überhaupt nichts, das Skifahren auch nicht. Die Schneeauflage ist gut, regelrecht konservierend und Wasser ist Leben“, begründet es Josef Wurzenrainer. „Die Schneeschmelze befeuchtet den Boden und bringt Wachstum. Auf den Pisten beginnt es wegen der dicken Schneeauflage zwar etwas später zu wachsen und blühen, aber es gedeiht alles gut“, sagt der Kitzbüheler. Auch der Kunstschnee schadet dem Boden nicht, denn in ihm stecke nichts Künstliches, nur Wasser mit Trinkwasserqualität.
Spür- und sichtbar seien nur „neu“ entstandene Pisten, wie etwa Teile der Asten. Das liege zwar schon etwa zehn Jahre zurück, aber die Flurarbeiten sind an der Farbintensität der Weidefläche noch immer zu erkennen, erklärt Josef Wurzenrainer: „Die normale Almfläche hat ein sattes Grün, die Fläche auf der Asten, wo pistenbedingte Erdarbeiten vorgenommen worden sind, nicht – sie ist hellgrün und weniger dicht, dafür mit mehr Unkraut. Es dauert lange, bis dort wieder richtiges Almgras wächst.“ Stören kann ihn so etwas nicht: „Das gehört dazu, wenn man Hänge in einem Skigebiet bewirtschaftet.“
Geht es nach dem Bergbauern, so bekommt die Natur den Tourismus im Sommer viel eher zu spüren als im Winter – und das, obwohl man auf den Hahnenkamm eher zum Ski fahren kommt als zum Wandern: „Im Winter bringen die Bergbahnen pro Stunde ca. 1000 Leute hier herauf, im Sommer pro Tag.“ Unmöglich ist es für Sepp Wurzenrainer, den Querfeldein-Wanderern und -Bikern Einhalt zu gebieten, also jenen, die die vorgeschriebenen Routen verlassen: „Wenn 100 Leute den selben Weg querfeldein gehen, entsteht ein Trampelpfad und der wird erdig. Dann fahren noch die Mountainbiker drüber, dann kommt der Regen und nach der Spur schießt das Wasser hinunter und so summiert sich das. An der Mausefalle habe sich binnen weniger Tage nach Start der Wandersaison bereits wieder ein ausgetretener, erdiger Pfad gebildet – „nur weil einer dem anderen nachgeht“.
Wenn man Querfeldein-Wanderer freundlich ermahnt, heißt es übrigens stets: „Die Kühe gehen ja auch über die Wiese!“ Das stimme auch, bestätigt Sepp Wurzenrainer, aber: „Die Kuh tritt keinen Pfad aus sondern geht ständig andere Wege.“ Den Wintertouristen kann man aber freilich auch nicht ganz von Schuld freisprechen, allerdings schadet er der Forstwirtschaft und (verschreckten) Wildtieren – sobald gesicherte Pisten verlassen werden.
Natürlich hat die Zahl der Touristen in den letzten Jahren – im Winter wie Sommer – zugenommen, aber laut dem Landwirt habe gleichzeitig auch die Rücksicht auf die Natur abgenommen: „Ich glaube, das hängt mit der Werbung zusammen. Die propagiert, dass man die heile Welt überall genießen kann und das man alles in Anspruch nehmen kann – vom unverspurten Tiefschnee bis zum Picknick auf der Almwiese.“
Sepp Wurzenrainer verbringt einen Großteil des Sommers auf seiner Hütte auf der Ehrenbachalm. Nur wenn er auf dem – vom Sohn bewirtschafteten – Hof daheim gebraucht wird, rückt er ins Tal aus. Fad wird ihm so alleine auf 1500 Meter Seehöhe nicht. Einerseits freut er sich über regelmäßigen Besuch von der Familie, Freunden oder Nachbarn und er hat seine Tiere – 82 Kühe und Hund Speedy. Seine Arbeit beginnt frühmorgens, wenn er die (folgsamen) Rindviecher in den Stall lockt: „Sobald ich rufe, sausen sie daher. Dann wird gemolken.“ Fünf Kühe gleichzeitig kann er mit seiner Maschine melken, im Anschluss wird ausgemistet und dann nach den 44 Jungtieren im Bereich Walde/Mausefalle gesehen: „Da schaut man nicht nur, ob alle Tiere noch da sind sondern auch, ob sie gesund sind – ob das Fußwerk passt und ob die Euter in Ordnung sind.“
Die Milch geht an „Berglandmilch“, der Tankwagen fährt jeden zweiten Tag zu ihm auf die Ehrenbachalm und zapft ab. „Eigentlich wird propagiert, dass Almmilch die inhaltsstoffreichste sei, aber leider entsteht daraus kein spezielles, hochwertiges Produkt. Die Menge die von Tiroler Almen geliefert wird ist einfach zu klein“, bedauert Sepp Wurzenrainer etwas das 08/15-Ergebnis seiner harten Arbeit. Alternative gäbe es aber keine: „Wenn jeder wieder alles selbst verarbeiten würde, wären wir da, wo wir vor 100 Jahren waren. Das würde unser Genossenschaftssystem völlig in Frage stellen.“ Und ist er zufrieden? „Sonst würde ich es nicht machen.“
Sehr zufrieden war er auch am 20. Jänner 2018, als er zum ersten Mal nach ewigen Zeiten das Hahnenkammrennen im Fernsehen verfolgt hat. Die 15 Jahre davor war Sepp Wurzenrainer Sicherheitschef auf der Streif und verantwortlich für alle Sicherheitseinrichtungen innerhalb der Piste – also vor allem für die fast 25 Kilometer an Zäunen. Als Thomas Dreßen über die Kuhweiden der Streif zu seinem Sensationssieg raste, saß der Landwirt „ganz relaxed daheim“ und freute sich schon wieder auf Frühling, Sommer und Herbst mit seinen Tieren auf der Alm.